Challenge Mediation und generative KI: Kann ein Large Language Model den Konflikt aus Avengers: Infinity War besser lösen als der Mensch?

Anlässlich eines Workshops zu KI in der Mediation im Herbst 2024 haben wir uns mit der Frage auseinandergesetzt, wie ein LLM im Rahmen eines strukturierten Prozesses zur Verhandlungsführung eingesetzt werden kann. Dabei haben wir versucht, eine Lösung für die (zum Glück nur fiktive) drohende Auslöschung der Menschheit durch Thanos zu finden.

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  1. Chancen durch KI: Unterstützung der Mediation durch generativer KI – wie zum Beispiel LLMs, wie ChatGPT und DeepSeek – in den Bereichen Prozessorganisation, Kommunikationsanalyse und Lösungsvorschläge, ohne den Mediator zu ersetzen.
  2. Risiken und Herausforderungen: Bias der KI, der unverzichtbare menschliche Faktor des Mediators und Datenschutzbedenken, die den Einsatz von KI einschränken können.
  3. Praxisbeispiel: Ein Workshop zur KI-gestützten Mediation am Beispiel „Avengers: Infinity War“ zeigt, wie KI als Hilfsmittel genutzt werden kann, aber die emotionale und zwischenmenschliche Dimension von Konflikten nicht vollständig erfassen kann.

KI als neutrale Mediatorin zwischen verstrittenen Parteien erscheint als ideales Match

Die Digitalisierung und die zunehmende Nutzung von Künstlicher Intelligenz (KI) dringen auch in das Rechtswesen durch. Mit Large Language Models (LLMs), die insbesondere Text Output zu spezifischen Anfragen generieren, kommen neue Möglichkeiten auf: bei der Recherche, Inhaltsextraktion, Auswertung beziehungsweise Auslegung und Verwertung der Informationen. Klassische Anwendungsfälle für den Einsatz von LLMs durch Juristen sind die Analyse und Erstellung von Schriftstücken. Selbst wenn man aktuell noch nicht einmal diesen Pfad mit KI als „ausgetreten“ bezeichnen kann, lohnt es sich, daneben auch im Blick zu behalten, wo die KI die Juristen darüber hinaus noch unterstützen kann.

Schaut man sich einen weiteren klassisch juristischen Bereich, nämlich die Verhandlungsführung zwischen verstrittenen Parteien an, sehen wir auch hier Potential für einen gewinnbringenden Einsatz speziell von LLMs. Die Beteiligten liefern in der Regel viel Input zu ihren Positionen, der analysiert werden muss, und vertrauen dann auf eine größtmögliche Neutralität des oder der Vermittelnden, um sie durch ihren Konflikt zu leiten. Hier könnte es helfen, wenn statt dem Menschen eine „Maschine“ agiert.

Die Mediation, ein Verfahren zur außergerichtlichen Konfliktlösung als stark strukturierter Dialog zwischen den Konfliktparteien, verfolgt das Ziel, durch Kommunikation und Verhandlung eine für alle Parteien akzeptable Lösung zu finden. Bevor wir den möglichen Einsatz eines LLMs in der Mediation analysieren, ist es wichtig, die Grundsätze des Mediationsprozesses zu verstehen.

Grundsätze der Mediation:

  • Freiwilligkeit: Alle Parteien entscheiden selbst, ob sie sich auf die Mediation einlassen.
  • Vertraulichkeit: Alles, was im Rahmen der Mediation besprochen wird, unterliegt der Vertraulichkeit.
  • Eigenverantwortung: Die Konfliktparteien sind selbst dafür verantwortlich, eine Lösung zu erarbeiten.
  • Neutralität: Der Mediator ist unparteiisch und beeinflusst die Parteien nicht in ihrer Entscheidungsfindung.
  • Allparteilichkeit: Der Mediator stellt sicher, dass keine Partei benachteiligt wird.
  • Selbstbestimmung: Die Parteien bestimmen die Lösung selbst und sind nicht an ein Urteil eines Dritten gebunden.

Eine Mediation folgt zudem in der Regel einem strukturierten Ablauf, dessen Phasen zusammen mit den gerade genannten Grundsätzen den Rahmen für den Einsatz eines LLMs in der Mediation bilden.

Klassische Phasen der Mediation:

  1. Eröffnung: Der Mediator stellt den Ablauf der Mediation vor und erklärt die Grundsätze.
  2. Themenklärung: Die Konfliktparteien benennen die Themen, die sie in der Mediation bearbeiten wollen.
  3. Erarbeitung von Lösungen: Der Mediator unterstützt die Parteien dabei, kreative Lösungen zu entwickeln.
  4. Verhandlung: Die Parteien diskutieren die verschiedenen Lösungsmöglichkeiten und arbeiten auf einen Konsens hin.
  5. Abschluss: Die Parteien fassen die erzielten Vereinbarungen schriftlich zusammen.

Ein zentrales Bedürfnis verstrittener Parteien ist gerade die Neutralität eines unterstützenden Vermittlers. Je neutraler dieser wahrgenommen wird, desto eher sind die Beteiligten bereit, sich nicht übervorteilt zu fühlen und erarbeitete Vorschläge annehmen zu können. Ein LLM ohne menschliche Vorprägungen und vordefinierte Meinungen an dieser Stelle einzusetzen, scheint die prädestinierte Lösung zu sein.

Ein Praxistest offenbart die Potentiale, aber auch Probleme des LLMs als Mediator

Im Rahmen eines Workshops hat unsere Kanzlei gemeinsam mit den Teilnehmern konkrete LLM-Prompts erarbeitet, die in einer Mediation zur Anwendung kommen könnten. Um den Einsatz von LLMs in der Mediation zu veranschaulichen, wurde als Beispiel der fiktive Konflikt aus dem Film “Avengers: Infinity War” herangezogen.

In diesem Film steht die Erde vor einer existenziellen Bedrohung durch Thanos, einem mächtigen Titan. Dieser strebt danach, alle sechs Infinity-Steine zu sammeln, um mit deren Macht die Hälfte aller Lebewesen im Universum auszulöschen. Sein Ziel ist es, das Universum von Überbevölkerung und Ressourcenverschwendung zu befreien und so eine „gerechte“ Balance herzustellen. Die Avengers und ihre Verbündeten sehen in Thanos’ Plan jedoch eine Katastrophe und kämpfen darum, dies zu verhindern und die Erde zu retten.

In diesem Fall wollten die Mediatoren eine Lösung für den Konflikt zwischen den Avengers und Thanos finden. Das LLM wurde dabei mit Blick auf die verschiedenen Phasen der Mediation getestet. Das Ziel war, auf eine Lösung des Konflikts hinzuarbeiten, indem das LLM die verschiedenen Perspektiven der Konfliktparteien analysiert und potenzielle Kompromisse aufzeigt. Dabei zeigte sich das Potential Effizienz im Prozess zu gewinnen vor allem bei nachfolgenden konkreten Einsatzmöglichkeiten:

a) Strukturierung und Organisation des Mediationsprozesses:

Das LLM könnte eine erste Analyse der Angaben der Konfliktparteien und der vorliegenden Themen durchführen und eine strukturierte Agenda für die Mediation erstellen. Hierbei könnte es auch hilfreiche Vorschläge zur Priorisierung von Themen oder zur Gestaltung des Dialogs machen.

b) Unterstützung bei der Kommunikationsanalyse:

Das LLM könnte die von den Parteien vorgetragenen Schilderungen analysieren und einerseits Übereinstimmungen und andererseits Konflikte identifizieren. Zudem könnte es bei der Identifikation der dahinterliegenden Bedürfnisse unterstützen und mit den Parteien die gezogenen Schlüsse abgleichen und im Dialog weiter verfeinern.

c) Vorschläge für Lösungen und Kompromisse:

Auf Basis der erfassten Daten könnte ein LLM auch dazu beitragen, mögliche Lösungsvorschläge zu generieren. Indem es historische Daten aus ähnlichen Fällen analysiert, könnte es kreative Lösungsmöglichkeiten anbieten. Diese Vorschläge wären zwar nicht verbindlich, könnten jedoch als Anregung dienen und die Mediationsparteien auf mögliche Kompromisse hinweisen. Im Sinne der Grundsätze der Mediation wäre es vielleicht sogar zu bevorzugen, die kreativen Ideen gar nicht den Parteien zu unterbreiten, sondern nur für den Mediator zu nutzen, um wiederum neue Fragen oder Anregungen für die Parteien durch das LLM auf dieser Grundlage erstellen zu lassen.

d) Unterstützung der Verhandlungsführung:

In diesem Sinne könnte das LLM den Mediator auch im Weiteren bei der gesamten Verhandlungsführung unterstützen, indem es Vorschläge zur Formulierung von Fragen oder zur Klärung von Unklarheiten bietet. Es könnte helfen, Kommunikationsbarrieren zu überwinden und zu einem konstruktiven Dialog beitragen.

Im Avengers-Thanos-Konflikt erhielt das LLM die Sachverhaltsschilderungen beider Parteien und identifizierte mit entsprechend formuliertem Prompt folgende Bedürfnisse der beiden Konfliktparteien:

Thanos:

  • Kontrolle und Macht, um seine Vision einer „gerechten“ Welt durchzusetzen.
  • Die Verwirklichung seiner Idee der Balance, was er als die einzige Möglichkeit ansieht, das Universum langfristig zu retten.

Avengers und Verbündete:

  • Den Schutz der Erde und der Unschuldigen, die Thanos’ Plan bedroht.
  • Die Verhinderung von Thanos’ ultimativem Ziel, die Hälfte des Lebens auszulöschen, und das Überleben ihrer eigenen Welt zu sichern.

Die Mediation der Konfliktparteien würde sich um die unterschiedlichen Werte und existenziellen Überzeugungen drehen: Während Thanos aus einer utilitaristischen Perspektive handelt, geht es den Avengers um das Recht auf Leben und die Erhaltung der Freiheit.

Im Rahmen des Workshops haben sich jedoch sowohl aus der Anwendung konkreter Prompts als auch aus dem Austausch mit den Teilnehmenden einige Risiken und Herausforderungen gezeigt, die nicht unbeachtet bleiben dürfen:

a) Bias und Verzerrung der KI-Modelle:

KI-Systeme sind nur so gut wie die Daten, mit denen sie trainiert wurden. Wenn die Trainingsdaten verzerrt oder unvollständig sind, kann die generative KI ebenfalls fehlerhafte oder voreingenommene Vorschläge machen. Die eigentlich unterstellte Neutralität der „Maschine“ ist dann nur eine Farce, weil doch Vorprägungen durchschlagen. Sichtbar wird das, wenn man ein LLM beispielsweise ein Schaubild mit 20 CEOs moderner Unternehmen erstellen lässt. Ist es überraschend, dass in den meisten Versuchen die weit überwiegende Anzahl der CEOs älter, weiß und männlich war? Gerade in der Mediation, die stark auf zwischenmenschlicher Kommunikation und Nuancen basiert, könnte ein Bias der generativen KI zu falschen oder unangemessenen Annahmen oder Ideen führen. Es wäre nicht hilfreich, wenn ein LLM aufgrund seiner Trainingsdaten bestimmte Lösungsmöglichkeiten bevorzugt oder den Bedürfnissen einzelner Konfliktparteien nicht gerecht wird.

b) Die Rolle des Mediators bleibt unverzichtbar:

Die Mediation lebt von der Selbstbestimmung der Parteien und der neutralen Unterstützung durch den Mediator. In der Praxis hat sich gezeigt, dass es schwer ist, das LLM davon abzuhalten, sich mit Einflussnahme und Lösungsvorschlägen zurückzuhalten. Aktuell scheint noch das „menschliche Verständnis“ zu fehlen, sei es Zurückhaltung oder Empathie für einzelne Positionen und Bedürfnisse. Letztlich müssen die Parteien selbst eine Lösung erarbeiten. Der Mediator hat lediglich die Aufgabe, den Prozess zu moderieren und sicherzustellen, dass der Dialog respektvoll und produktiv bleibt. Aktuell kann ein LLM an dieser Stelle zwar durch Analyse der vorgetragenen Inhalte und Unterbreitung von Ideen unterstützen, aber es kann aus unserer Sicht zumindest noch nicht die emotionale Intelligenz und das Verständnis eines menschlichen Mediators ersetzen.

c) Datenschutz und Vertraulichkeit:

Der Einsatz von LLMs in der Mediation erfordert den Umgang mit sensiblen und vertraulichen Informationen. Es muss sichergestellt werden, dass die Systeme datenschutzkonform arbeiten und dass keine Informationen unbefugt an Dritte weitergegeben werden. Der Schutz der Privatsphäre der Konfliktparteien muss oberste Priorität haben.

d) Technologische Abhängigkeit:

Der Einsatz von LLMs könnte zu einer zunehmenden Abhängigkeit von Technologie führen. Wenn eine KI als alleinige Lösung betrachtet wird, könnte dies zu einer Entmenschlichung des Mediationsprozesses führen. Es könnte kontraproduktiv sein, wenn die Parteien die menschliche Empathie und zwischenmenschliche Kommunikation, die für eine erfolgreiche Mediation entscheidend sind, vernachlässigen oder vermissen.

Der Workshop zeigte, dass der Mensch aktuell steuern sollte, an welcher Stelle das LLM oder eine andere generative KI ein hilfreiches Hilfsmittel in der Mediation sein kann, um die Vorteile insbesondere bei der Strukturierung des Prozesses und der Analyse von Gesprächsinhalten zu nutzen, und die Nachteile abzufangen.

Ein LLM als Unterstützung funktioniert, für einen Ersatz reicht es (noch) nicht

Der Einsatz von Large Language Models in der Mediation bietet zweifellos viele interessante Möglichkeiten, von der Prozessorganisation über die Kommunikationsanalyse bis hin zur Unterstützung bei der Lösungsfindung. Dennoch bleibt der Mediator als menschlicher Akteur aktuell noch unverzichtbar, insbesondere in Hinblick auf die emotionalen und zwischenmenschlichen Aspekte des Konflikts. LLMs sollten daher nicht als Ersatz für den Mediator gesehen werden, sondern vielmehr als unterstützendes Tool, das den Mediationsprozess effizienter und zielgerichteter gestaltet.

Um den Einsatz von LLMs in der Mediation weiter zu optimieren, ist es entscheidend, dass die Technologie weiterentwickelt wird, um Bias zu minimieren und die Fähigkeiten zur Analyse und Interaktion mit den Teilnehmern zu verbessern. Auch die Schulung von Mediatoren im Umgang mit entsprechenden Tools wird eine wichtige Rolle spielen, um den Mehrwert der Technologie effektiv nutzen zu können.