Fair Use im US-Urheberrecht – Zwischen kreativer Freiheit und Schutz des Originals

Kunst lebt vom Verändern, vom Neudenken, vom Zugreifen auf das Bestehende. Doch wie weit darf ein Künstler gehen, ohne die Rechte des Originals zu verletzen? Diese Frage wurde im Jahr 2023 vom US-Supreme Court in einem wegweisenden Urteil über Andy Warhols bearbeitete Prince-Fotografie beantwortet. Das Urteil Andy Warhol Foundation vs. Lynn Goldsmith (21-869 Andy Warhol Foundation for Visual Arts, Inc. v. Goldsmith (05/18/2023)) hat nicht nur die Grenzen von Fair Use im US-amerikanischen Urheberrecht vertiefend definiert, sondern auch gezeigt, wie stark die Interessen von Urhebern und Kreativen aufeinanderprallen können. In einer globalisierten Kunstwelt, in der Ideen über Grenzen hinweg geteilt werden, hat dieses Urteil die Debatte über Urheberrechtsschutz und kreative Freiheit neu entfacht.

Was ist Fair Use?

Das US-amerikanische Fair Use-Prinzip erlaubt es, urheberrechtlich geschützte Werke ohne Zustimmung des Urhebers zu nutzen, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt sind. Das Fair Use-Prinzip ist in § 107 des U.S. Copyright Act (17 U.S.C. § 107) kodifiziert. Besonders relevant wird Fair Use dann, wenn ein Werk transformiert oder für einen neuen Zweck genutzt wird. Dabei werden folgende Faktoren berücksichtigt:

  1. Zweck und Charakter der Nutzung: Ist die Nutzung kommerziell oder nicht-kommerziell? Wird das Werk transformiert, d. h. erhält es eine neue Bedeutung oder Botschaft?
  2. Art des urheberrechtlich geschützten Werkes: Handelt es sich um ein kreatives Werk oder eher um ein faktisches?
  3. Umfang und Wesentlichkeit des genutzten Teils im Verhältnis zum gesamten urheberrechtlich geschützten Werk: Wie viel des Originals wird verwendet und wie zentral ist der verwendete Teil für das Original?
  4. Auswirkungen der Nutzung auf den potenziellen Markt für oder den Wert des urheberrechtlich geschützten Werkes: Wird der Marktwert des Originals beeinträchtigt oder eine potenzielle Lizenzierung unmöglich gemacht?
  5. Der transformative Use: Eine entscheidende Frage ist, ob das Werk so verändert wird, dass es eine neue Bedeutung oder Botschaft erhält? Dieser Punkt spielte im Fall Warhol v. Goldsmith eine zentrale Rolle.

Das Urteil Andy Warhol Foundation vs. Goldsmith

Im zugrunde liegenden Verfahren hatte Andy Warhol ein von Goldsmith erstelltes Porträt des Musikers Prince überarbeitet. Die bearbeitete Version wurde später in einem kommerziellen Kontext publiziert. Die Warhol Foundation berief sich auf das Fair Use Prinzip. Der Supreme Court lehnte diese Einordnung ab.

In der Mehrheitsmeinung wurde mit 7:2 Stimmen argumentiert, dass Warhols Bearbeitung keine hinreichende Transformation im rechtlichen Sinne darstelle, insbesondere da sie im gleichen kommerziellen Verwertungsumfeld (Lizenzierung an Magazine) wie das Original verwendet wurde. Diese Faktoren sprachen gegen die Annahme einer privilegierten Nutzung unter Fair Use. Das Gericht betonte, dass eine neue Ästhetik allein nicht ausreiche, wenn der kommerzielle Zweck der Nutzung mit dem des Originals konkurriert.

Implikationen für die Praxis der Bearbeitung fremder Werke

Die Entscheidung konkretisiert den rechtlichen Maßstab für transformative Nutzungen bildkünstlerischer Inhalte im US-Recht. Sie unterstreicht, dass selbst signifikante stilistische Veränderungen nicht ausreichen, wenn keine abweichende Aussageabsicht oder Nutzungsperspektive erkennbar ist, die das Werk deutlich vom Original abgrenzt, insbesondere bei einer marktnahen Zweitverwertung. Dies verdeutlicht, dass die Auswirkungen auf den Markt im Einzelfall eine erhebliche Rolle spielen können.

Kontinentaleuropäische Perspektive: Typisierte Schranken statt offener Abwägung

Im Vergleich zum US-amerikanischen Recht, das durch das Prinzip des Fair Use eine gewisse Flexibilität zulässt, sind die Urheberrechtsregelungen in Deutschland und der Europäischen Union deutlich strenger und klarer definiert:

  • Rechtsphilosophien und Schutzrichtungen
    Das US-amerikanische Recht folgt der Common-Law-Tradition, bei der die Rechtsprechung durch Präzedenzfälle geprägt wird. Dies ermöglicht eine gewisse Flexibilität und eine individuelle Beurteilung jedes Falls. Die Kreativität und die öffentliche Nutzung von Werken werden dabei stärker gefördert, auch wenn das Warhol-Urteil die Grenzen dieser Flexibilität im kommerziellen Kontext neu abgesteckt hat.

    Im Gegensatz dazu basieren das deutsche und das europäische Urheberrecht auf der Civil-Law-Tradition, bei der das gesetzlich kodifizierte Recht im Vordergrund steht. Hier ist der Schutz des geistigen Eigentums besonders ausgeprägt, und Ausnahmen (sog. Schrankenbestimmungen) sind abschließend und eng geregelt. Urheberrechtsverletzungen werden stärker geahndet, und die Rechte der Urheber haben einen höheren Stellenwert. Beispiele für solche Schranken in Deutschland finden sich etwa in den §§ 44a ff. UrhG.
  • Der Drei-Stufen-Test
    In der Revidierten Berner Übereinkunft (Art. 9 Abs. 2 RBÜ) sowie in der Infosoc-Richtlinie (Art. 5 Abs. 5 InfoSoc-RL 2001/29/EG) und im TRIPS-Abkommen (Art. 13 TRIPS) wird der sogenannte Drei-Stufen-Test angewendet. Dieser besagt, dass Ausnahmen vom Urheberrecht nur zulässig sind, wenn:
    • 1. Die Nutzung in bestimmten Sonderfällen erfolgt,
    • 2. die Nutzung nicht die normale Auswertung des Werkes beeinträchtigt und
    • 3. die Nutzung die berechtigten Interessen des Rechteinhabers nicht unzumutbar verletzt.

Der Drei-Stufen-Test sorgt dafür, dass Ausnahmen klar definiert und eng begrenzt sind. Im Vergleich zum Fair Use der USA, der eine breitere Anwendung zulässt, ist das europäische Urheberrecht dadurch restriktiver und legt mehr Wert auf den Schutz der Urheberrechte.

Fair Use und Urheberrecht im Wandel – Aktuelle Entwicklungen und Ausblick

Das Urteil Andy Warhol Foundation vs. Lynn Goldsmith hat die Grenzen von Fair Use im US-amerikanischen Urheberrecht präzisiert und verdeutlicht, dass selbst signifikante stilistische Veränderungen nicht ausreichen, wenn die Zweitverwertung kommerziell ist und mit dem potenziellen Markt des Originals konkurriert. Es zeigt, dass das flexible US-Recht weiterhin die Balance zwischen kreativer Freiheit und dem Schutz des Originals sucht, nun aber mit einem stärkeren Fokus auf die potenzielle Marktbeeinträchtigung.

Im Gegensatz dazu bietet das deutsche und europäische Urheberrecht durch seine kodifizierten Schrankenbestimmungen und den Drei-Stufen-Test eine höhere Rechtssicherheit und einen stärkeren Schutz für Urheber. Diese Systeme sind restriktiver, verhindern aber auch eine unklare Auslegung im kommerziellen Kontext.

In einer zunehmend digitalisierten und globalisierten Welt, in der Ideen und Werke ständig über Grenzen hinweg zirkulieren und neue Technologien wie Künstliche Intelligenz generative Inhalte erzeugen, stehen beide Rechtssysteme vor enormen Herausforderungen. Klagen wie die von Disney und Universal vs. Midjourney (https://www.bbc.com/news/articles/cg5vjqdm1ypo, https://www.reuters.com/business/media-telecom/disney-universal-sue-image-creator-midjourney-copyright-infringement-2025-06-11/) werden zeigen, wie die Gerichte in den USA mit dem Training von KIs auf urheberrechtlich geschützten Daten und der Urheberschaft von KI-generierten Werken umgehen. Während das US-Recht hier möglicherweise erneut seine Fair-Use-Doktrin anpassen muss, sind im europäischen Recht klare Antworten auf diese neuen Fragen erforderlich, um den Schutz geistigen Eigentums weiterhin effektiv zu gewährleisten.

Die fortlaufende Debatte über die richtige Balance zwischen Schutz und Nutzung wird sowohl die Gesetzgebung als auch die Rechtsprechung in den kommenden Jahren maßgeblich prägen und ist entscheidend für die Entwicklung der Kreativwirtschaft weltweit.