Der 1. Januar 2025 markierte einen Wendepunkt für das internationale Kunstrecht. Mit dem Ablauf der urheberrechtlichen Schutzfrist sind die Werke zahlreicher bedeutender Künstler, die 1954 verstorben sind, in die Gemeinfreiheit (im internationalen Sprachgebrauch als „Public Domain“[1] bezeichnet) eingetreten. Wir blicken auf ein Jahr zurück, in dem die farbenfrohen Ikonen von Frida Kahlo, darunter „Die zwei Fridas“ und „Selbstbildnis mit abgeschnittenem Haar“, ebenso frei wurden wie die Werke der Künstler Henri Matisse, André Derain und des Fotografen Robert Capa.
Der Statuswechsel schenkt Museen, Verlagen und der Kreativwirtschaft neue Freiheiten und ist ein Gewinn. Allerdings belegt die Praxis, dass die juristischen Fallstricke im Kunst-, Medien- und Markenrecht jenseits des Urheberrechts noch immer enorm sind.
Juristische Fallstricke: Die Tücken der „freien Nutzung“
Obwohl das zentrale Schutzrecht erloschen ist, ist die vermeintliche „freie Nutzung“ in der Praxis durch andere, überdauernde Rechtsgebiete stark limitiert.
1. Das überdauernde Markenrecht und die Namensrechte
Die Nutzung des Namens oder des Bildes einer Berühmtheit für kommerzielle Zwecke kann auch nach Ablauf der urheberrechtlichen Schutzfrist untersagt werden.
- Markenrechtliche Hindernisse: Ikonische Motive, Signaturen, Zitate oder stilisierte Künstlernamen können als Marke registriert sein. Dieses Recht besteht unabhängig vom erloschenen Urheberrecht und ist ein starkes Kontrollinstrument für die kommerzielle Verwertung. Eine Markenverletzung liegt vor (§ 14 MarkenG), wenn die Nutzung eine Herkunft oder Billigung durch die Rechtsnachfolger oder registrierte Dritte suggeriert. Die Verwertung erfordert daher stets eine erweiterte Markenrecherche, da sowohl die Erben als auch außenstehende Dritte Markenrechte an Bildelementen oder Namen halten können.
- Postmortales Persönlichkeitsrecht: In Deutschland können die Erben die unbefugte und rufschädigende kommerzielle Nutzung des Namens oder des Bildnisses des Verstorbenen über das postmortale Persönlichkeitsrecht untersagen. Dieses Recht leitet sich aus dem Schutz der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 GG) ab und kann, je nach Einzelfall und Intensität der Schutzbedürftigkeit, auch länger als 70 Jahre nach dem Tod Geltung beanspruchen (MüKoBGB/Leipold, 9. Aufl. 2022, BGB § 1922 Rn. 177).
2. Der Eigenschutz der Reproduktion (Leistungsschutzrecht)
Die Gemeinfreiheit erfasst lediglich das Originalwerk. Die digitale Abbildung oder Fotografie des gemeinfreien Gemäldes, die Sie in einem Museum oder Archiv erwerben, kann hingegen selbst noch geschützt sein.
- Schutz als Lichtbild (§ 72 UrhG): Eine fotografische Reproduktion, die lediglich der naturgetreuen Abbildung des Originals dient und keine eigene Schöpfungshöhe aufweist, ist in Deutschland als Lichtbild geschützt. Dieser Schutz, ein Leistungsschutzrecht, erlischt erst 50 Jahre nach der Erstveröffentlichung der Fotografie. Die bloß fotografische Reproduktion eines gemeinfreien Werkes ist hingegen nicht schutzfähig, vgl. § 68 UrhG.
- Schutz als Lichtbildwerk (§ 2 Abs. 1 Nr. 5 UrhG): Hat der Fotograf durch individuelle Gestaltung (z.B. spezielle Perspektive, einzigartige Ausleuchtung) eine persönliche geistige Schöpfung geschaffen, ist die Abbildung als vollwertiges Lichtbildwerk urheberrechtlich geschützt. Hier gilt die reguläre Frist von 70 Jahren post mortem des Fotografen.
- Vertragliche Beschränkungen: Unabhängig von den gesetzlichen Fristen versuchen viele Kulturinstitutionen, die Nutzung ihrer hochauflösenden Digitalisate durch strenge Lizenzbedingungen und Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) zu kontrollieren und so eine faktische Kontrolle über die gemeinfreien Werke zu behalten. Als positive Gegenbewegung stellen jedoch immer mehr führende Museen und Bibliotheken (z.B. die New York Public Library, vgl. unter https://www.nypl.org/research/resources/public-domain-collections, zuletzt aufgerufen am 05.10.2025 oder die Stiftung Preußischer Kulturbesitz, vgl. unter https://www.smb.museum/nachrichten/detail/sammlungen-online-open-access-wikimedia-commons-staatliche-museen-zu-berlin-erweitern-digitales-angebot/, zuletzt aufgerufen am 05.10.2025 ) ihre Digitalisate von gemeinfreien Werken unter eine Lizenz wie der CC0 (Creative Commons Zero) oder der Public Domain Mark (PDM) zur Verfügung, was die freie Nutzung für jedermann rechtlich absichert.
3. Die Tücke der Rechtslage – Internationale Schutzfristen (Lex Loci)
Die Gemeinfreiheit ist kein universeller Status.
- Die Schutzfrist in der EU beträgt 70 Jahre post mortem auctoris (§ 64 UrhG).
- In den USA beträgt die Schutzfrist in vielen Fällen 95 Jahre ab Erstveröffentlichung.
Die Nutzung eines in der EU freien Werkes in den USA kann daher weiterhin eine Urheberrechtsverletzung darstellen. Eine globale Verwertung erfordert die sorgfältige Prüfung der jeweiligen nationalen Rechtsordnung (Lex Loci Protectionis).
Ausblick auf 2026: Albert Einstein, Thomas Mann und Fernand Léger
Der nächste Public Domain Day am 1. Januar 2026 bringt eine neue Welle an Herausforderungen und Chancen mit sich. In der EU treten die Werke all jener in die Gemeinfreiheit ein, die 1955 verstorben sind, was den Fokus über die Bildende Kunst hinaus erweitert:
| Persönlichkeit | Werkbereich |
| Thomas Mann, Schriftsteller | Das umfangreiche literarische Erbe des Nobelpreisträgers, das Romane, Novellen und Essays umfasst. Darunter ikonische Werke wie „Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull“ und „Die Betrogene“. |
| Albert Einstein, Physiker | Das wissenschaftliche und populärwissenschaftliche Schrifttum, insbesondere seine grundlegenden Arbeiten zur Relativitätstheorie und seine prägenden theoretischen Publikationen. |
| Fernand Léger, Maler/Bildhauer | Das vielfältige bildkünstlerische Werk, das ihn zu einem bedeutenden Vertreter des Kubismus und der modernen Kunst machte, einschließlich monumentaler Gemälde und Skulpturen. |
| Max Pechstein, Maler/Grafiker | Das umfangreiche bildkünstlerische Werk als prägender Vertreter des Expressionismus, darunter Ölgemälde, Holzschnitte und Lithografien. |
In den USA werden zeitgleich alle Werke frei, die 1930 erstmals veröffentlicht wurden, darunter etwa der Roman „The Maltese Falcon“ von Dashiell Hammett.
Die juristische Vorbereitung auf 2026
Der Public Domain Day am 1. Januar 2026 läutet eine tiefgreifende Veränderung für das Literartur- und Wissenschaftsrecht ein, da die Werke von bedeutenden Persönlichkeiten wie Thomas Mann und Albert Einstein gemeinfrei werden.
Für Verlage eröffnet sich nun die Möglichkeit, Neuauflagen und moderne Interpretationen der Originaltexte ohne Lizenzgebühren auf den Markt zu bringen. Dabei bleibt jedoch Vorsicht geboten: Die juristische Freiheit endet nicht beim Originaltext. Man muss unbedingt den Schutz von Übersetzungen als selbstständige urheberrechtlich geschützte Werke Dritter (§ 3 UrhG) sowie den Schutz neuer wissenschaftlicher Kommentare oder Vorbemerkungen beachten.
Auch wissenschaftliche Einrichtungen profitieren enorm von der freien Nutzung der Originalschriften Einsteins. Doch selbst hier gilt der Grundsatz: Spätere Herausgaben und Kommentierungen durch Dritte können weiterhin geschützt sein.
Im Kunstbereich, etwa bei den Werken der bedeutenden Künstler Fernand Léger und Max Pechstein, ist eine erneute und sorgfältige Markenprüfung unerlässlich. Nur so lässt sich die kommerzielle Verwertung von ikonischen Motiven und Logos rechtlich absichern.
Die Gemeinfreiheit ist und bleibt eine essentielle Grundlage für Bildung, Wissenschaft und Kultur. Wer die neuen Möglichkeiten im Jahr 2026 risikofrei nutzen will, muss eine umfassende Compliance-Prüfung durchführen. Diese muss über das Urheberrecht hinaus alle zusätzlichen Schutzmechanismen wie das Marken-, Namens- und Reproduktionsrecht sowie die komplexen internationalen Schutzfristen berücksichtigen.
[1] Im allgemeinen Sprachgebrauch wird „Public Domain“ häufig als Synonym für „Gemeinfreiheit“ verwendet, juristisch handelt es sich jedoch um unterschiedliche Konzepte: Im angloamerikanischen Recht kann „Public Domain“ auch Werke umfassen, die aus anderen Gründen als dem Fristablauf nicht (mehr) urheberrechtlich geschützt sind, etwa weil der Urheber aktiv auf seine Rechte verzichtet hat.